VERLEIHUNG 2015

Eva Menasse, Preisträgerin
über Humor

Eva Menasse

Die Frage zum Tag, meine sehr geehrten Damen und Herren, lautet: Was ist eigentlich Humor? Da man es ja nicht nur mit der Pointe, sondern ganz besonders mit der Antiklimax kurz machen soll: ich weiß es nicht genau. Erwarten Sie außerdem nicht, dass ich jetzt versuchen werde, Sie zum Lachen zu bringen, das ist nämlich die Falle, die hier gähnt in der Größe des Zürich-Sees. Höchstens kann ich ganz ernsthaft, geradezu melancholisch versuchen, ein paar Anmerkungen zu machen, die uns diesem schwer erklärlichen Phänomen etwas näher bringen.

So wie viele schwere, chronische und nach wie vor rätselhafte Krankheiten wie zum Beispiel Alzheimer, lässt sich auch der Humor am sichersten durch die Ausschlussmethode diagnostizieren. Beginnen wir damit: Humor ist kein Spaß. Zu spaßigem Humor gesellt sich automatisch das Epitheton „schenkelklopfend“. Wir geraten also in die Nähe von Phänomenen wie dem „Musikantenstadl“ oder dem deutschen oder Kärntner Karneval. Und auch wenn sich selbst in diesen Veranstaltungen homöopathische Dosen echten Humors verstecken dürften – ingesamt sind sie das Gegenteil von dem Humor, um den es mir und vermutlich auch meinem großzügigen Preisstifter geht. Denn dieser Humor tut nicht weh, dieser Humor ist Gemütlichkeitssoße und führt dazu, dass sich alle noch ein bisschen wohliger fühlen in einer vorübergehenden Übereinkunft, deren einziges Postulat lautet: Wir schalten schunkelnd den Verstand ab, alle zusammen, und fühlen uns nur noch gut und warm.

Wenn Sie jetzt denken, es sei ein bisschen eingebildet, sich von solchen, volksmedizinisch gewiss notwendigen Humorsurrogaten zu distanzieren, dann antworte ich: Das mache ich nicht aus Herablassung, sondern allein aus Gründen der Begriffsklärung. In Zeiten wie diesen ist es nur begrüßenswert, wenn die Menschen sich ablenken, wenn ihnen gelingt, ihre individuellen Schmerzen am Dasein vorübergehend auszuschalten, womit auch immer. Oder, mit Charlie Hebdo von vorletzter Woche gesagt: „Sie haben die Waffen, wir den Champagner“. Aber ganz grundsätzlich ist Humor, der das Denken ausschaltet, oder den man nur versteht, nachdem man es ausgeschaltet hat, nach meiner Definition keiner. Im Österreich der Achtziger Jahre gab es eine beliebte Kindersendung des Namens „Auch Spaß muss sein“. Der Moderator nannte sich Herbert „Happy“ Prikopa und wir Kinder fanden ihn schon aufgrund seiner enormen Leibesfülle ausnehmend komisch. Inzwischen aber – und dafür kann Happy Prikopa wahrscheinlich nichts - missfällt mir dieser Titel auf das Äußerste. - “Auch Spaß muss sein.“ Dabei wissen wir doch alle, dass im Leben gar nichts muss, außer Steuern gezahlt sowie am Ende gestorben werden. Spaß, der sein muss, ist bedrohlich.
Spaß, der sein muss, ist kein Spaß. Genausowenig wie jener Spaß, der zwar nicht mit Gewalt muss, dessen Existenzberechtigung aber mit einem sehr unlustigen Unterton eingefordert wird und der einem bei beharrlichem Unverständnis den vernichtenden Vorwurf Spaß-Verderber oder, neudeutsch, Spaßbremse einbringt. Er ist Zwang, meistens: Gruppenzwang, in der Verkleidung des Spaßes. Sie alle, woher Sie auch stammen mögen, kennen die zähnefletschende Formel: „Verstehst du keinen Spaß mehr“? Variante: „Darf man keinen Spaß mehr machen?“ sowie in der abgeschwächtesten Version: „War doch nur Spaß“ oder, neudeutsch, „Schee-heerz“. Alle diese Formulierungen sind sichere Hinweise darauf, dass das Vorhergehende ein verbaler Grenzübertritt war, also etwas in der Art von Schwiegermutter-, Behinderten-, Schwulen- oder Judenwitzen.
Jetzt werden Sie sicher gleich ernst. Ich auch. Denn das ist ja der Humor, den wir alle nicht wollen.

Eva Menasse

Unangenehmerweise haben wir hier aber eines seiner wenigen sicheren Merkmale identifiziert. Sei es guter oder schlechter Humor, jedenfalls mehr als biederer Spaß, so befindet er sich ausnahmslos in der unerfreulichsten Nachbarschaft. Wie ein fröhlich pfeifender Parasit hockt der Humor immer neben der Gewalt und dem Grauen, neben Tod, Vernichtung, Verletzung und Hoffnungslosigkeit. Er kann ohne das nicht sein, es ist seine natürliche Lebensumgebung. Der zweite Annäherungssatz lautet daher: Ohne Ernst kein Humor.
Vielleicht wäre es denkbar, dass es im Paradies den Spaß gibt, obwohl dieser Ort in meiner persönlichen Vorstellung mit der lodernden Hölle äußerster Langeweile in eins fällt. Der Humor aber kommt dort garantiert nicht vor, der liegt nämlich nicht mit gebräunten Gliedern relaxed in einer elysischen Wiese herum, während ihm Bienen und Schmetterlinge auf Miniatur-Violinen Strauss-Walzer vorspielen.

Falls der Humor das Paradies je betreten hat, dann auf dem Rücken der Schlange. Denn Humor ist vor allem anderen ein Mittel der Erkenntnis. Er erkennt die Aussichtslosigkeit, die Beschränkt- und Begrenztheit der menschlichen Existenz und all unsrer Mühen, aber indem er sie erkennt und in sich aufnimmt, überwindet er sie.
Wir kommen auf die Welt, um älter zu werden, zu leiden und zu sterben. Aber dass der Mensch sich trotzdem seit Jahrtausenden fortpflanzt und während seiner armselig kurzen Lebenszeit auch noch mit aller Kraft versucht, etwas Bleibendes zu schaffen: Das allein beweist schon sein unerschöpfliches Talent zum Humor.
Der Humor wächst am Hang der Katastrophe, nirgends sonst. Das lässt ihn funktionieren, das haucht ihm Leben ein. Damit meine ich - ich muss das wiederholen - den guten UND den bösen, den schlechten UND den welterkenntnisfördernden Humor. Sie sind ja Geschwister, wahrscheinlich sogar Zwillinge, denn sie unterscheiden sich nur in kleinen, aber entscheidenden Details. Der schlechte Humor nimmt das Böse und die Gewalt, auf der er gewachsen ist, auf und trägt sie weiter. Der gute lindert sie und wandelt sie um. Aber diese Grenzen sind nicht trennscharf zu ziehen.

Der beste Humor tänzelt im molekularen Bereich genau an dieser Grenze herum, überschreitet spielerisch unsere aktuellen Übereinkünfte von Takt und Erträglichkeit und hüpft, damit wir lachen, gleich wieder, selbst mit einem um Verzeihung bittenden Lächeln, hinter sie zurück. Wenn man bei einem guten Witz nicht auch ein bisschen erschrickt, ist es meistens keiner.
Das ist wahrscheinlich - und dies jetzt nur in Klammer - auch eine Möglichkeit, unser Problem mit den Phänomenen der Political Correctness zu beschreiben. Ursprünglich ist sie angetreten, um Minderheiten und Benachteiligten auch sprachlich endlich Recht zu verschaffen. Und dazu ist sie bis heute gut, zu unserer Sensibilisierung für die Empfindlichkeiten anderer. Sobald sie aber in die Hände der Tugendwächter fällt, jener, die Pointen mit Maßband und Mikroskop untersuchen, dann ist es nicht nur mit dem Spaß, sondern auch dem Humor vorbei.

Sprichwörtlich ist der jüdische Witz. Er ist so gut, weil die Juden als Gruppe über Jahrtausende ausreichend Leid und Verfolgung erfahren haben, dass es sie zu wahren Zauberkünstlern des Humors hat werden lassen. Der herrliche jüdische Witz ist also erlitten, Generation für Generation und mit sehr viel Blut und Schmerzen. Bestimmt tröstet Sie das, liebe Schweizer, darüber hinweg, dass Sie als Nation weltweit im Witz nicht für führend erachtet werden. Da Sie auf über fünfhundert Jahre friedliche Geschichte zurückschauen, opfern Sie dafür bestimmt gern ein paar Punkte in der internationalen Humorwertung. Für die Juden jedenfalls war ihr Humor die einzige verzweifelte Art, ein winziges Stückchen Souveränität zu bewahren.
Mit diesen alten Tricks hat man auch meine Geschwister und mich als Kinder vorsichtig auf die Wunden der Familiengeschichte vorbereitet, die irgendwann später vermutlich der Grund waren, warum ich zu schreiben begonnen habe. Die dramatische Kindheit unseres Vaters wurde nämlich zwar nicht zu einem Witz, aber zu einer positiven Geschichte gemacht, die nicht einmal gelogen war. Man hat sie, und das ist das Geheimnis, von einem ziemlich exzentrischen Blickwinkel her erzählt, wodurch sie nicht mehr tragisch, sondern plötzlich sehr positiv wirkte.

Als Kinder waren wir stolz darauf, dass unser Vater perfekt Englisch sprach. Das war im Wien der Siebziger Jahre alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Wir mussten älter werden, um zu fragen, warum. Denn erst als Älteren war uns zuzumuten, den Grund zu erfahren. Dass unser Vater mit acht Jahren nach England geschickt wurde, vor den Nazis in Sicherheit gebracht wurde um den Preis, ohne seine Eltern und Geschwister und ohne jeden Kontakt zu ihnen in der Fremde aufzuwachsen. Ja, klar, da kann man dann nachher fabelhaft Englisch. Aber erst einmal nur das zu erzählen, macht für eine ahnungslose Tochter die geheimnisvolle Kindheit des eigenen Vaters zunächst einmal positiv und besonders, und sie vergisst, nachzufragen.

Aus demselben Grund haben die Juden sogar Witze über das KZ gemacht, und einen, den ich für besonders philosophisch und tiefschürfend halte, werde ich Ihnen jetzt zum Schluß zumuten, und zwar mit dem größten Vergnügen. Dieser Witz ist ein schlagender Beweis für den Zusammenhang von Gewalt und Humor, von Grenzüberschreitung, Analyse, Trost, Welterkenntnis und dem Schmerz, den gute Witze auslösen können, vielleicht müssen.

Ein SS-Mann greift sich im KZ einen Juden und zwingt ihn zu einem Spiel auf Leben und Tod. Ich habe ein Glasauge, sagt der SS-Mann, aber es sieht dem echten täuschend ähnlich. Wenn du, Jude, das richtige vom falschen unterscheiden kannst, dann lasse ich dich leben. Wenn nicht – er zeigt mit dem Daumen nach unten. Der Jude sieht dem SS-Mann konzentriert in die Augen. Da kommst du nie drauf, höhnt der SS-Mann, das ist eben gute deutsche Wertarbeit, nicht wahr? Gute deutsche Wertarbeit?, wiederholt der Jude. Dann ist das rechte das falsche. Wie hast du das erkannt, staunt der SS-Mann. Ganz einfach, sagt der Jude, Ihr Glasauge hat so einen gütigen, menschlichen Schimmer.